European Triode Festival 2019

Reden wir erst mal kurz übers Wetter. Das muss sein, weil’s diesmal nicht soviele dekorative blau behimmelte Postkartenfotos aus dem normannischen Städtchen Bellême gibt wie im letzten Jahr und der graue und kalte Herbst überwiedgend die Hosen anhatte

Eigentlich brauche sich sowas ja gar nicht. Kultur, Lebensart, gutes Essen, intensives Um-sich-selbst-Kümmern. Das finde ich nett, aber nicht so wichtig. Wenn’s da nicht ganz selten mal ein paar Momente gäbe, die meine diesbezügliche Ingnoranz erschüttern würden. Wie diese dreieinhalb Tage Frankreich zum Beispiel.

Der Reihe nach. In diesem Jahr bin ich die Reise nach Frankreich zum zweiten ETF dieser von Tim Gurney organisierten Staffel mit Andrejs Staltmanis angetreten, Sie wissen schon: der lettische Hüne mit den litauischen Plattenspielern und Tonarmen und den sibirischen Verstärkern. Und neuerdings russischen. Mit Torsionsfeldern. Jepp, darüber wird beizeiten noch zu reden sein.

Jedenfalls haben wir uns bereits am Mittwoch, also einen Tag vor dem offiziellen Anreise- und Aufbautag auf den Weg in die Normandie gemacht und Andrejs‘ Golf bis an die Grenzen des Möglichen mit Zeugs vollgestopft. Die Fahrt war unspektkakulär, Paris in Sachen Verkehrsfluss halbwegs gnädig und das französische Autobahnraststättenessen hervorragend.

Als wir am späten Nachmittag in Bellême eintrafen, war bereits ein internationales Experten-Team mit dem Setup des großen Systems im „Main Room“ beschäftigt.

Und selbstverständlich war die Anzahl der Spitzenköche weit mehr als groß genug, um den Brei erstmal gründlich zu verderben, aber das gehört auch irgendwie dazu. Wie immer ist das Ganze im Laufe der Zeit dann doch ziemlich klasse geworden. Gastgeber Tim hat eigens für diese Veranstaltung größere Mengen Kistensperrholz in zwei imposante Shearer-Hörner verwandelt, die von je zwei JBL-Alnico-Fünfzehnern befeuert wurden. Mittlere und hohe Töne oblagen vier(!) selbstverständlich uralten und raren RCA-Treibern vom Typ MI-9584 aus dem Fundus von Dave Slagle, der die Schätze vorher nach Frankreich geschickt hatte. Schon aufgrund der Doppelbestückung und den Phenolharzmembranen war ein besonders „crisper“ Hochtonbereich nicht zu erwarten, aber wie Dave völlig richtig sagt: Besser wenig Hochton als ein durch Membranresonanzen erzeugter. Gefiltert wurde natürlich erst vor Ort und passiv, mit dem, was so da war. Das muss so, sonst isses nicht ETF.

Das Beziehen eines eigenen „Spielzimmers“ war erst ab Donnerstag Mittag möglich, sonst hätten die Vorabankömmlinge einen ziemlich unfairen Wettbewerbsvorteil gehabt – das Ergattern einer optisch und akustisch reizvollen Lokalität ist bei solchen Veranstaltungen immer ein wichtiger Punkt. Wir haben’s weder einmal hervorragend getroffen, durften uns im Ausstellungsraum eines lokalen Kunsthandwerkers niederlassen und die wirklich tollen Exponate gleich mitbenutzen. Ganz, ganz großes Kino das. Man kann Tim ganz nicht genug dafür danken, dass er die Einwohner von Bellême soweit ins Boot geholt hat, dass sowas möglich ist. Klasse, echt.

Töne machten bei uns die aus der letzten Klang + Ton bekannten „Green Machines“: mein Versuch, eine halbwegs kompakte, wirkungsgradstarke und mit allen möglichen Arten von Verstärkern verträgliche Box zu bauen, die „den Ton“ trifft. Sie wissen schon, diesen ganz speziellen. Lassen Sie sich bei Gelegenheit mal von Andrejs erklären, was genau das ist. Als Ansteuerung waren eigentlich Jochens gewaltige GM-70-Monos vorgesehen. Das erwies sich aber als schwierig, da drei von vier mitgebrachten Endröhren den Transport nicht überlebt hatten. Notitz an mich selbst: Beim nächsten Mal eine Verpackung wir für Nitroglycerin bauen, wenn du sowas durch die Gegend fährst.

Also: keine Endstufen. Was ein bisschen blöde war, weil damit die akustische Premiere von Flohs und Bernds Röhren-Linestage ausfiel und auch Micha Kaims zum CL-6-Amp passende Vorstufe nicht ran durfte. Also kam die ganze Zeit der rigoros halbleiterbestückte Torsionsfeldverstärker zum Zuge, was zugegebenermaßen akustisch ziemlich gut funktioniert hat. Wie gesagt, darüber reden wir noch.

Vor dem Aufbau haben wir unserem „Vermieter“ noch dabei geholfen, ein halbes Raummeterchen Brennholz in den Garten zu räumen, was erstens für die nötige Betriebstemperatur bei uns sorgte und die Möglichkeit bot, den wirklich spektakulären Garten in Augenschein zu nehmen. Japp, ganz genau so muss das.

Eine der Besonderheiten des 2019er ETFs war der Wettbewerb: Es gab mal kein klassisches Shootout vor versammeltem Publikum. sondern acht Teams, die jeweils eine unter bestimmten Auflagen konstruierte Komplettanlage in je einem eigens dafür reservierten Raum vorgeführt haben. Eigentlich ganz spannend, unser „Klübchen“ ist aber irgendwann aus dem Rennen ausgestiegen, weil unsere ursprüngliche Idee sich als nicht vernünftig realisierbar erwies. Und weil wir nicht von CD spielen wollten, was zu den Voraussetzungen gehört hätte.

Letztlich den per Besucherstimmzettel ermittelten Gesamtsieg hat dieses Setup mit Open-Baffle-Lautsprecher aus Frankreich errungen, was tatsächlich ziemlich klasse klang. Ebenfalls sehr beeindruckend: Dieses eigens aufs Handgepäck-Abteil im Flieger hin konzipierte Setup von JC Morrison und Stefano Bae mit einer extrem innovativen Hybrid-Verstärkerlösung, deren Details ich nicht mehr zusammen bekomme. Ich frage JC nochmal.

Ansonsten haben ich wieder viel von Dietmar über Hörner und Druckkammertreiber gelernt, der Mann ist wirklich ein unerschöpflicher Quell einmaligen Wissens über diese Dinge. Am späten Freitagabend gab’s die großartigste Fünf-Mann-Party aller Zeiten, Bjorn und Karsten aus Dänemark haben Metal auf dem großen System aufgelegt. Das war zwar nicht in jeder Hinsicht so richtig gut, aber laut und geil – darauf kommt’s an. Und es kann Tool :-)).

Eine ganz besondere Erwähnung verdient ganz sicher Marc Henri. Der franzöische Tüftler hatte sein über viele Jahre hinweg perfektioniertes Hornsystem in den Räumlichkeiten eines netten kleinen Hotels die Straße hinunter aufgebaut. Das klang ziemlich klasse und wusste mit einer ganzen Menge Besonderheiten aufzuwarten, am auffälligsten war vermutlich der gehäuselose Subwoofer mit selbstgemachter Biegewellenmembran.

Für Nicht-Franzosen wie uns dauert es einen Moment, bis man sich an das „Französische“ dieser Veranstaltung gewöhnt hat. Dann aber ist es eine wunderbare Erfahrung. Und dabei geht’s darum, viel Zeit beim Essen und Trinken mit lieben Menschen zu verbringen. Und Sachen auf dem unspekatakulär kleinen Wochenmarkt von Bellême zu probieren, die so gut sind, dass es einem die Fassungslosigkeit ins Gesicht treibt. Wie zum Beispiel Bratwürste, bei denen gebürtige Nürnberger in Verzückung geraten. Und Käse mit Intensität und Wucht, wie ich’s noch nie erlebt habe.

Am Sonntagmorgen vor der Abreise war dann noch ein Besuch in der ortsansässigen Chocolaterié fällig. Das schmertzt zwar gehörig in der Börse, ist die Sünde aber definitiv wert.

Und so ging ein wieder einmal denkwürdiges langes Wochenende zuende. Eines von jenen, bei denen mir immer bewusst wird, warum ich den allergrößten Teil meiner Zeit in dieses Metier und die ganz besonders die Menschen darin stecke.

Im nächsten Jahr, beim letzten ETF in Bellême, droht Ungemach. Und ich weiß noch nicht, wie ich damit umgehen werde: Die Veranstaltung läuft nämlich zeitgleich mit dem Analog Forum in Krefeld.

Ach ja, die obligatorische Bildergallerie. Die gibt’s natürlich auch.

8 Gedanken zu „European Triode Festival 2019

  1. Broti Schwarz-Brot

    Hallo Holger,danke für die Bilder. Die Normandie ist wirklich eines der bezauberndsden Fleckchen wo gibt.Wird es zu dem Gehäuselosen Sub bzw. dem Biegewellenwandler mehr Input geben? Finde ich sehr spannend! Das sind genau die Dinge, die ich in einer K&T immer vermisst habe.Auch ansonsten sehr beeindruckend, was da an Technik aufgetischt wird. Ab und zu würde ich wirklich gerne Mäuschen spielen.Zu Deinen Fotos habe ich auch ein paar Fragen. Da Du Dich ja auch ein bisschen intensiver mit der Materie auseinander setzt, gehe ich davon aus, dass das weitgehend keine Zufallsprodukte sind. Mir gefällt die Körnigkeit der Bilder sehr gut. In den Exifs habe ich gesehen, dass Du auch bei Tageslicht mit extremen ISO-Einstellungen arbeitest, obwohl Du ja ohnehin schon recht lichtstarke Gläser nutzt. Geht das Korn allein auf diese Einstellungen zurück? Oder schraubst Du da hinterher noch in Photoshop? Ich frage, weil mit meiner alten Dynax wird das so nix, über ISO 800 rauscht die so pervers, dass die Bilder kaum mehr als künstlerischen Wert bieten. Sind halt einige Generationen dazwischen. Aber ich liebe sie halt…Generell wirken Deine Bilder immer auch leicht zu scharf und die Farben leicht übersättigt. Das fällt immer besonders dann auf, wenn Personen im Bild sind oder feine Strukturen. Mit diesen Effekt würde ich gerne auch spielen, würdest Du Dein Rezept teilen? Gerne auch per Mail, ich denke dieses Thema ist auf Deinen Audioseiten nur bedingt richtig aufgehoben.Beste Grüße,Jan

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    1. hb Beitragsautor
      Hallo Jan,
      danke fürs Feedback.
      Alle meine Bilder sind relativ stark nachbearbeitet, das stimmt. Ich fotografiere grundsätzlich nur RAW, weil ich den zusätzlichen Spielraum beim Nachbearbeiten auch brauche. Ich fotografiere nicht grundsätzlich mit unnötig hohen ISO-Werten, allerdings kommt es vor, dass ich das Herunterdrehen einfach vergesse, wenn’s mal was heller wird ;-).
      Das Restrauschen, das du auf den Bildern siehst, resultiert tatsächlich aus der Nachbearbeitung. Mittlerweile bin ich auch der Meinung, dass es eigentlich dazu gehört und die Ästhetik ein bisschen mitbestimmt. Was ich dir sagen kann: Praktisch die komplette Bearbeitung findet im RAW-Converter statt. Ich schärfe nicht explizit nach, der Eindruck ergibt sich quasi automatisch. Und ja, ich drehe ein bisschen an der Sättigung, aber das ist tatsächlich minimal.
      Viele Grüße: Holger
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      1. Broti Schwarz-Brot

        Hallo Holger,danke für die Hinweise.Das Rauschen wirkt bei Deiner Kamera sehr harmonisch. Es vermittelt für mich tatsächlich das Gefühl von empfindlichem Analogfilm, was ich sehr schätze. Vielleicht sollte ich doch mal über neues Geschirr nachdenken. :-/Ich werde mal ein wenig mit verschiedenen RAW-Convertern spielen. Vielleicht findet sich da ja ein Weg für mein altes Geraffel.Viele Grüße,Jan

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      1. Broti Schwarz-Brot

        Ich arbeite noch mit einer Konica-Minolta. Ja, genau die, die dann an Sony gingen und verschwanden :/Meine Dynax 7D ist von 2004. Seitdem hat sich vor allem bei den Sensoren noch einiges getan, was sich halt gerade im Rauschen und in der allgemeinen Bildqualität bemerkbar macht. Von der Auflösung mal ganz zu schweigen. Schon seit einigen Jahren hat jedes Handy eine größere Auflösung – was der absolute Beweis ist, das Pixel nicht ausschlaggebend sind. Man kann richtig gute Bilder damit machen, aber sobald die Situation etwas spezieller wird, muss man genau wissen, was man tut.Die dicke Nikon meines alten Herren ist im Vergleich ein Point-and-Shoot Gerät. Ich hätte ja Spaß dran, aber ich sehe irgendwie nicht ein die Minolta einzumotten. Die fühlt sich einfach noch „analoger“ an.

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