Die elfte Ausgabe des „European Triode Festival“ war Urlaub von der wirklichen Welt – wieder einmal. Knapp drei Tage nur normale Leute ;-), Unmengen von Eindrücken, unbezahlbare Informationen, HiFi zum Staunen, kurzum: Ferien für Audio-Nerds
So langsam wird’s eng in Stella. In diesem Jahr gab’s in der Ferienanlage an der französischen Kanalküste (nein, ich hab‘s auch in diesem Jahr nicht an den Strand geschafft, obwohl er nur ein paar hundert Meter weit weg ist) ernsthafte Platznot. Letztlich war in allen Vorführräumen keine einzige freie Wand mehr zu finden, vor jeder davon stand tönendes Equipment.
Wir waren verhältnismäßig früh vor Ort und hatten von daher das Glück, uns noch eine relativ großzügige Ecke vom Kuchen abknapsen zu können. „Wir“ bedeutet in diesem Fall eine Koproduktion von diversen Leuten: Analog-Multitalent Frank Schröder, Klangmeister Georg Stracke, Jochen Heinze, Christian Gather und meine Wenigkeit. Dazu kommt ein bisschen Joachim Gerhard, ohne den in der Selbstbauwelt derzeit gar nichts geht. Das gipfelte in einem Setup der etwas anderen Art: Als Lautsprecher fungierte unsere Coco15, über die es in Klang + Ton 1/2011 Genaueres nachzulesen geben wird. Wir wollten sie aktiv ansteuern; zu diesem Zweck hat Georg eine maßgeschneiderte Röhrenweiche gebaut, die aber leider nicht ganz so brummfrei lief, wie wir das gerne gehabt hätten. Letztlich landeten wir bei einer Bi-Amping-Variante, die ganz ausgezeichnet funktioniert hat: Georgs großartige EL12-Endstufe bediente den vom Spannungsteiler befreiten Hochtontreiber, ein paar eigens von Jochen gebaute SymAsyms machten dem Fünfzehnzöller Feuer unterm Neodym.
Vorne dran gab’s einen Transformator-Lautstärkesteller mit Eingangswahlschalter, ebenfalls von Georg. Alle Maschinchen haben wir in die hübschen Hammond-Aludruckgussgehäuse eingebaut und einheitlich lackiert (für den prima „paint job“ geht mein herzlicher Dank an Micha Rochow, den Logistiker des Brieden-Verlages); ich wage zu behaupten, dass das eine optisch wie klanglich sehr gelungene Kombination war.
Die Musik kam von einem Plattenspieler der etwas anderen Art: Frank Schröder schafft es immer wieder, zu Veranstaltungen dieser Art (mindestens) einen Plattenspieler mitzubringen, der an Exklusivität kaum zu toppen ist. In diesem Falle war’s ein an Massivität kaum zu überbietendes australisches Commonwealth-Studiolaufwerk (Baujahr 1969, wenn mich nicht alles täuscht), das in einem Block aus 15 Zentimeter starkem Hartgewebe steckte. Kaum weniger exotisch die Oberflächengestaltung: Frank verkleidete den Block mit einem Kunstfurnier aus schwarzem und weißem Ebenholz. Und da es viel zu gewöhnlich wäre, so einen Plattenspieler einfach auf ein Rack zu stellen, brachte Frank vier luftgefüllte Schwingungsdämpfer mit, auf denen normalerweise ein Elektronenmikroskop steht. Per Handpumpe werden die Zylinder auf die erforderliche Höhe gebracht und bewirken eine sehr effektive Entkopplung vom Untergrund. Dieser Plattenspieler dürfte mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit das Exklusivste sein, das jemals auf einem Ikea-Tisch vom Typ „Lack“ gestanden hat.
Obendrauf steckte Franks Ausflug ins Land der kardanischen Tonarme; das gute Stück hat er exklusiv für Artemis Labs entwickelt. Tonabnehmer? Natürlich gab’s auch hier einen Extremisten: „Puritas“ von Allnic Audio. Joachim Gerhard schneiderte dem relativ hochohmigen System eine spezielle Version seiner Transimpedanz-Phonovorstufe auf den Leib, der Berliner Elektronik-Spezialist Andreas Schubert baute eigens dafür eine per Röhre geregelte Spannunsgversorgung. Wer noch mehr wissen will, der möge fragen und die Kommentarfunktion bemühen.
An mindestens zwei Stellen gab’s Dinge zu bestaunen, die noch seltener sein dürften als jenes Laufwerk: Da wäre einmal ein Paar simpler Spanplattenkisten, in denen einer der größten Schätze steckte, den es in Sachen Lautsprecher geben dürfte: ein Paar Eckmiller-Feldspulenlautsprecher aus dem Jahre 1943. Mein Dank geht an Alexander Kriegel, der eines der ganz wenigen Paare davon besitzt (von genau diesem Typ möglicherweise sogar das weltweit einzige funktionstüchtige) und den ETF-Teilnehmern die Möglichkeit gegeben hat, sich einen klanglichen Eindruck von den Schätzchen zu machen. Ich jedenfalls war total platt. Die Eckmillers können praktisch alles, was ein moderner Lautsprecher auch kann. Sie produzieren echte tiefe Töne, einen feinen und seidigen Hochtonbereich und gehen dabei außerordentlich dynamisch zur Sache. Wenn man richtig sitzt, gibt’s eine frappierende Raumabbildung. Da drängt sich mal wieder die Frage nach dem Fortschritt in den letzten 67 Jahren Audiotechnik auf. Fragen Sie mich im Moment besser nicht nach meiner Antwort darauf…
Dazu passt, und auch da bin ich mir nicht ganz sicher, ob ich mich darüber freuen soll, das Ergebnis des diesjährigen Shootouts: Beim jedem ETF gibt es eine Art Wettbewerb zwischen Konzepten zu einem Thema. In diesem Jahr waren das Horn-/Treiberkombinationen für den Mitteltonbereich ab 600 Hertz. Aus 16 Teilnehmern verschiedenster Herkunft und Bauart hat sich letztlich durchgesetzt: eine Siemens-Klangfilm-Kombi aus den Dreißigern. Platz zwei ging an eine Siemens-Klangfilm-Kombi aus den Fünfzigern. Ich halte mich nun nicht unbedingt für einen beinharten Anhänger von Vintage-HiFi, aber ich habe alle Kandidaten gehört und bin der Meinung, dass das Ergebnis völlig in Ordnung geht. Was uns das über all die weitaus moderneren Kombinationen sagt, dürfen Sie selbst entscheiden.Die nächste Überraschung gab’s von Joachim Gerhard. Derzeit von kommerziellen Zwängen nur in geringem Umfang gebremst, entwickelt der als Lautsprecherprofi bekannt gewordene Tausendsassa (Audio Physic, Sonics) an allen Ecken und Enden der HiFi-Welt hoch innovative Konzepte mit einer Geschwindigkeit, die Menschen mit normalsterblicher Auffassungsgabe schwindeln lässt. Joachim ist, und das meine ich vollkommen ernst, vom Schicksal mit einer Gabe bedacht worden. Und die reduziert sich nicht auf seine erstaunliche Fähigkeit, technische Sachverhalte intuitiv zu erfassen, zu verstehen und weiterentwickeln zu können. Mindestens genauso erstaunlich ist die Leichtigkeit, mit der er Menschen kennen lernt und miteinander bekannt macht: Zweifellos ist er derzeit der bedeutendste Multiplikator, den die Szene zu bieten hat.
Mit der Unterstützung von Martina Schöner, the hardest working woman in HiFi und Loricraft-Frontfrau, stellte er in Stella eine Anlage auf die Beine, die überaus Erstaunliches leistete: zwei Schallwände mit je drei kleinen Breitbändern und einem elastisch aufgehängten rückwärtigen Hochtöner, kombiniert mit zwei W-Dipol-Subwoofern, vollkommen entgegen der Lehrbuchmeinung in der Raumecke aufgestellt. Das Ergebnis war ein schon fast brutal dynamisches, überaus offenes und lebendiges Klangbild, das überall im Raum erstaunlich stabil blieb. Hauptverantwortlich dafür ist die spezielle Abstrahlcharakteristik, die Joachim dem Lautsprecher anerzogen hat. Zu Monopol, Dipol, Bipol und Konsorten gesellt sich jetzt der G-Pol, und über dessen Funktionsweise hat er am Samstagmorgen einen sehr interessanten Vortrag gehalten. Davon wird’s sicherlich demnächst mehr zu sehen und zu hören geben.
Und noch eine Entwickler-Koryphäe durften wir in Stella begrüßen: JC Morrison, eine der Legenden des Untergrund-HiFi überhaupt. Nach langer Abstinenz von der Audio-Szene hat er derzeit den begehrtesten Jobs inne, den man sich als HiFi-Verrückter denken kann: Er entwickelt für den koreanischen Hersteller Silbatone Elektronik, die gängige Dimensionen von Aufwand und Kosten sprengt.
Der Eine oder andere wird den exklusiven Gerätschaften übrigens schon einmal begegnet sein: Das waren nämlich diejenigen, die auf der letzten High End mit jenem wunderbaren alten Western Electric-Kinohornsystem so großartig Musik gemacht haben.
Der Silbatone-Vorverstärker war auch beim ETF zu Gast. Was genau er kostet weiß ich nicht; höchst wahrscheinlich will ich das auch gar nicht. Fest steht allerdings, dass das Gerät kaum mehr als ein Einzelstück ist und mit uns zurück gefahren ist. Bis zur nächsten High End darf ich damit spielen und Musik hören. Mein Dank dafür gebührt Christof Kraus von Silvercore, der einen Teil der Induktivitäten für jene Unglaublichkeit fertigt (die anderen baut Dave Slagle). Meine Herren, ich fühle mich geehrt und bedanke mich sehr für diese einmalige Gelegenheit.
Zur High End 2011 kommen die Silbatone-Leute übrigens wieder und das, was sie dann im Gepäck haben werden, dürfte den Besuch der Messe allein weitaus mehr als rechtfertigen: Ich habe Bilder von einem Lautsprecher gesehen, den wollen Sie hören. Versprochen.
Und dann erzählte JC noch von einem Besuch bei einem Bekannten seines derzeitigen Arbeitgebers in Südkorea: Da gibt’s einen Sammler, der derzeit rund 20 Prozent des gesamten Bestandes von Vintage-HiFi-Geräten auf der Welt sein Eigen nennt. Jawohl, Sie haben richtig gelesen. Der Mann besitzt mehr altes Zeug als alle noch so verrückten japanischen Sammler zusammen. Ich habe Bilder von dieser Sammlung gesehen – wir bewegen uns hier in Dimensionen, die der Beschreibbarkeit trotzen. Wir reden hier nicht von Lagerhallen voll mit dem teuersten und exotischsten Equipment, dass man sich überhaupt denken kann, nein: Wir reden von Materialmengen, die einen Stadtteil füllen. Haben Sie schon einmal 2,5 Millionen Schallplatten gesehen? Ich auch nicht, aber ein Bild davon auf einem iPhone, was der Sache wohl nur höchst unzureichend gerecht werden dürfte.
Nun ist das ETF in erster Linie eine Selbstbauveranstaltung und nicht unbedingt der Platz, um mit ultrateurem Fertig-High End zu punkten. Aus einem Grund aber kollidiert das Silbatone-Thema überhaupt nicht mit diesem Umstand, und am dieser Stelle darf der geneigte Selbstbauer anfangen, Handschweiß zu entwickeln: JC Morrison hat die neuartige Schaltungstopologie des Gerätes bei einem Vortrag offen gelegt; verbunden mit der Bitte, sie zu benutzen, durch die Welt zu tragen und bekannt zu machen, bevor ein findiger Geschäftsmann auf die Idee kommt, ein Patent darauf anzumelden.
Das, liebe Leser, ist der wahre Geist.
Und dann waren da noch die ganz besonderen Momente so einer Veranstaltung, die man vermutlich nur dann so ganz erfassen kann, wenn man dabei war. Ein Beispiel: Es ist mitten in der Nacht, wir sind im Norden Frankreichs, ein Lette spielt mit einem von einem Ukrainer gebauten Verstärker an einem amerikanischen Lautsprecher Einstürzende Neubauten. Das nenne ich Völkerverständigung.
In diesem speziellen Falle war’s übrigens mein ganz persönlicher Friedensschluss mit dem Thema Altec „Voice Of The Theater“; bis dato konnte ich der A7 nicht allzu viel abgewinnen, aber die Version, die dort in Stella spielte machte ihrem Ruf alle Ehre: Dieser Lautsprecher kann unglaubliche Pegel so brutal trocken und tief in den Raum ballern, dass es die wahre Freude ist. Auch wenn (oder vielleicht auch weil) hier kein Altec-Bass verbaut war, sondern ein Electro Voice-Fünfzehner. Und der Superhochtöner dürfte auch nicht eben original sein.
Ach ja: Wer’s noch nicht gesehen hat: Natürlich gibt’s auch ein paar Bilder vom ETF.
[UPDATE] Christians Fotos sind jetzt auch online [/UPDATE]